Ich blicke einige Jahrzehnte zurück - ins Jahr 1964 -,
sehe mich in meinem provencalischen Atelier stehen, das von Pinien und
Feigenbäumen umgeben ist, am Rand von Vence in den Alpes maritimes, dem
südöstlichen Winkel Frankreichs. Ich stehe auf einem weißen Wollteppich,
der auf dem rohen Betonboden liegt, schaue durch das blau umrahmte
Fenster auf den gegenüberliegenden Hügel, auf dem eine Kolonne von
Pinien rhythmisch hügelaufwärts strebt. Man sieht nur Pinien, ahnt im
Hintergrund das Meer. Es herrscht eine würzige Stille, die ich zeitweise
als Einsamkeit empfinde. Dann schreibe ich einen Brief oder gehe ins
Zentrum von Vence und setze mich unter die riesigen Platanen vor dem
Café de la Régence, wo im Sommer der Tourismus brodelt und wo es mit
zunehmendem Herbst immer ruhiger wird.
Ich zeichne und aquarelliere in der näheren und
weiteren Umgebung von Vence; die Landschaft ist mir seit Jahren
vertraut, ich erlebe sie immer wieder neu und sie hört nicht auf, ein
Erlebnis zu sein, das mich erfüllt, aber auch beunruhigt. Ich fühle mich
privilegiert, hier zu sein, und befürchte, der Schönheit, die mich
umgibt, nicht gerecht zu werden mit meinen Zeichnungen und Aquarellen.
Ich versuche es ständig aufs Neue, und in den besten Momenten ist
zwischen Erleben und Tun kein Platz mehr für Fragen und Zweifel. Diese
stellen sich erst wieder ein bei nachträglicher Betrachtung und
Reflexion.
Wenn ich heute - 46 Jahre nach ihrer Entstehung - die
Arbeiten von damals wieder betrachte und sie sogar ausstelle, so ist das
ein Blick in eine Welt, die es nicht mehr gibt, die aber als Erinnerung
in meiner Gegenwart mitschwingt. Meine Sehnsucht gilt nicht sosehr dem
Vergangenen als dem Unvergänglichen, von dem die Weisen sagen, es sei
unsere eigentliche Wirklichkeit.
Ob sich irgendetwas davon in meinen - früheren oder späteren - Arbeiten ausdrückt? - Ich weiß es nicht.
E.E.
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